Geschichte

Mit der Gründung der Georg-August-Universität Göttingen im Jahr 1734 und ihrer Entwicklung zu einer Hochschule von internationaler Bedeutung war von Beginn an ein systematischer Aufbau der Göttinger Universitätsbibliothek als eines unentbehrlichen Instrumentariums der Wissenschaften verbunden. In den Räumlichkeiten des 1294 gegründeten ehemaligen Göttinger Paulinerklosters, die mit der offiziellen Eröffnung der Georgia Augusta im Jahr 1737 den baulichen Grundstock des gesamten Universitätsgebäudes bildeten, wurde der Bibliothek zunächst ein Saal zugesprochen. Hier war ihr Grundbestand von ca. 12.000 Bänden untergebracht, der überwiegend aus der nachgelassenen Privatbibliothek des Großvogts von Celle Joachim Hinrich von Bülow (1650 - 1724) bestand. 

Mit dem hannoverschen Staatsminister und Universitätskurator Gerlach Adolph von Münchhausen (1688 - 1770) fand die Bibliothek einen großzügigen Förderer. Unter diesen günstigen Voraussetzungen konnten insbesondere die Bibliotheksdirektoren Johann Matthias Gesner (1734 - 1761) und Christian Gottlob Heyne (1763 - 1812), der der Bibliothek fast 50 Jahre vorstand, einen Bestand von einzigartiger Dichte aufbauen. Heyne selbst benannte die Erwerbungsprinzipien der Göttinger Universitätsbibliothek 1810 als „ununterbrochene planmäßige Anschaffung desjenigen, was ... nöthig ist für eine Bibliothek, welche für einen wissenschaftlichen Plan, nicht nach Liebhaberey einzelner Fächer, nicht nach Prachtliebe, nicht nach dem Schein des Aeußerlichen, sondern nach Inbegriff und Umfassung der wichtigsten Schriften aller Zeiten und Völker in allen Wissenschaften ... eingerichtet ist“. Innerhalb weniger Jahrzehnte schuf Heyne ein dichtes Netz von Beziehungen zu ausländischen Buchhändlern, Diplomaten und Gelehrten, um Literatur aus der ganzen Welt zu erwerben. Zu den besonderen Sammelschwerpunkten zählten aufgrund der bis 1837 währenden Personalunion von Hannover und Großbritannien der angloamerikanische Kulturkreis, aufgrund der engen Beziehungen der Göttinger Universität zu Russland die Welt der Slawen, schließlich auch die Naturwissenschaften. Mehrere Kataloge erschlossen die Bestände in vorbildlicher Weise. Neben den Gruppenstandortkatalog für die Bülowsche Sammlung, der als Akzessionskatalog weitergeführt wurde, trat seit 1743 ein alphabetischer und seit 1755 ein systematischer Katalog. Alle Kataloge waren miteinander verzahnt und bildeten gemeinsam das Göttinger Katalogsystem. Zum Konzept der Göttinger Universitätsbibliothek gehörten liberale Benutzungsprinzipien, die schon bald die Ausleihe auch an Studenten ermöglichten. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde sie so zur ersten modernen Universalbibliothek von europäischem Rang. Um 1800 betrug ihr Bestand bereits ca. 150.000 Bände. So breitete sich die Bibliothek allmählich auf sämtliche Gebäudeteile des ehemaligen Klosters sowie auf Erweiterungsbauten aus. Im Jahre 1812 wurde nach dem Einzug einer Zwischendecke auch die Paulinerkirche, die zuvor als Universitätskirche gedient hatte, der Bibliothek zur Nutzung übergeben.

Nach Heynes Ära entwickelte sich die Göttinger Universitätsbibliothek vor allem aufgrund knapper als zuvor bemessener Mittel zunächst langsamer. Eindringlich wies Jacob Grimm (1785 - 1873), der 1829 mit seinem Bruder Wilhelm nach Göttingen berufen worden war und hier als Bibliothekar und Professor wirkte, bevor er 1837 als einer der Göttinger Sieben des Landes verwiesen wurde, 1833 in einer Denkschrift auf die Bedeutung der Bibliothek sowie entstandene Lücken hin und sicherte so zumindest eine vorübergehende Erhöhung des Etats. Mit der Angliederung des Königreichs Hannover an Preußen verlor die Göttinger Universität ihren Status als privilegierte Landesuniversität und war ihre Bibliothek nunmehr eine von zehn preußischen Universitätsbibliotheken. Dank ihrer Stellung als neben der Königlichen Bibliothek in Berlin zweiter großer norddeutscher Bibliothek fiel ihr eine wichtige Rolle im preußischen Leihverkehr zu. 1886 erhielt der Bibliotheksdirektor Karl Dziatzko (1842 - 1903) den im deutschen Raum ersten Lehrstuhl für bibliothekarische Hilfswissenschaften. Kurz zuvor, in den Jahren 1878 bis 1883, hatte die Bibliothek ihren größten Erweiterungsbau erhalten, das sogenannte Prinzenstraßengebäude, das als dreigeschossiges Magazin gestaltet und mit einem Verbindungsanbau an die älteren Gebäudeteile der Bibliothek angeschlossen wurde. Letzter Erweiterungsbau des Gebäudekomplexes war das sogenannte Magazingebäude von 1914 bis 1916.

Nachdem der Bestand 1910 mehr als 570.000 Bände erreicht hatte, unterbrachen der Erste Weltkrieg mit seinen politischen und wirtschaftlichen Folgen, Inflation und Weltwirtschaftskrise die günstige Entwicklung des Bestandsaufbaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Große Unterstützung für die Ergänzung der kriegsbedingten Lücken leistete die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft. In dem von ihr entwickelten Sondersammelgebietssystem wurde der Göttinger Universitätsbibliothek aufgrund ihrer besonders umfassenden Spezialbestände die Pflege der Bereiche des angloamerikanischen Kulturkreises und der Naturwissenschaften anvertraut. Unter dem Bibliotheksdirektor Richard Fick (1867 - 1944) wurde das Katalogsystem neu geordnet und mit der Ablösung des alphabetischen Bandkatalogs durch einen Zettelkatalog sowie eines ebenfalls in Zettelform geführten Schlagwortkatalogs den modernen Erfordernissen angepasst.

Wie stark die nationalsozialistischen Machthaber nach 1933 in die Personal-, Nutzer-, Finanz- und Erwerbungspolitik der Göttinger Universitätsbibliothek eingriffen, beschreibt eine 2016 erschienene Arbeit der Historikerin Juliane Deinert. Jüdische und politisch missliebige Angestellte wurden verfolgt und aus dem Dienst entlassen, unter ihnen der Historiker und Bibliothekar Alfred Hessel (1877 - 1939). Der Erwerbungstätigkeit der Bibliothek in der Zeit des Nationalsozialismus war das Forschungsprojekt „Ermittlung und Restitution von NS-Raubgut der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen“ gewidmet, das 1.080 Bücher im Bestand der Bibliothek als eindeutige bzw. verdächtige Raubgutfälle auswies. 1944 wurde das Bibliotheksgebäude durch einen Bombentreffer weitgehend zerstört; glücklicherweise erlitten die Bestände selbst jedoch nur vergleichsweise geringen Schaden. Dadurch wuchsen der Göttinger Universitätsbibliothek in den Folgejahren weitere wichtige Funktionen im überregionalen Leihverkehr zu. Als Anerkennung für ihre Leistungen in diesem Bereich wurde ihr 1949 vom Niedersächsischen Staatsministerium der Titel „Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen“ (SUB Göttingen) verliehen. Im selben Jahr ordnete die aus der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft hervorgegangene Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ihr Sondersammelgebietsprogramm neu und vertraute der Bibliothek die Pflege weiterer Sondersammelgebiete an.

Die Nachkriegszeit stand zunächst im Zeichen des Wiederaufbaus des Bibliotheksgebäudes. 1950 überschritt die Bestandsgröße eine Million Bände. Seit 1957 entstand an der SUB Göttingen der Niedersächsische Zentralkatalog (NZK) zur Steuerung des regionalen Leihverkehrs. Nachdem 1967 der Einstieg in die elektronische Datenverarbeitung zunächst mit der Katalogisierung der Zeitschriften vollzogen war, folgte seit 1977 die der Monographien. In dem 1982 eingerichteten Bibliotheksrechenzentrum Niedersachsen (BRZN) wurde der Niedersächsische Monographiennachweis (NMN) und der Niedersächsische Zeitschriftennachweis (NZN) aufgebaut. Aus ihm entwickelte sich mit der Übernahme des niederländischen PICA-Systems seit 1993 der Gemeinsame Bibliotheksverbund (GBV)

1992 bezog die SUB Göttingen ihren ca. 22.000 Quadratmeter Hauptnutzfläche umfassenden modernen Neubau auf dem Campus des Geisteswissenschaftlichen Zentrums. Mit der Eröffnung der Zentralbibliothek 1993 war von Beginn an eine funktionale Trennung der nunmehr beiden Hauptgebäude der SUB Göttingen verbunden: die Zentralbibliothek als moderne wissenschaftliche Universalbibliothek, das Historische Gebäude als Ort der vertieften historischen Forschung. Mit der 2000 begonnenen und 2006 abgeschlossenen Sanierung des Historischen Gebäudes wurde es möglich, die Spezialsammlungen der Bibliothek an einem Ort zu konzentrieren; zugleich finden seither in der Paulinerkirche zahlreiche wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen sowie Ausstellungen statt. Teilbestände der Bibliothek waren bereits 1973 als Bereichsbibliothek Chemie (2016 geschlossen) und 1977 als Bereichsbibliothek Medizin in ihre jetzigen Gebäude gezogen, 2000 folgte die Bereichsbibliothek Forstwissenschaften sowie 2003 die Bereichsbibliothek Physik. 2008 wurde die Bibliothek der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Seminare und Institute als Bereichsbibliothek Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in die SUB Göttingen integriert. 2012 wurde im Neubau des Kulturwissenschaftlichen Zentrums der Universität Göttingen die Bereichsbibliothek Kulturwissenschaften eröffnet. Sie vereint 22 Bibliotheken verschiedener Seminare und Institute der Philosophischen Fakultät, interdisziplinärer Zentren und der SUB Göttingen. Seit seiner Eröffnung 2013 betreibt die SUB Göttingen zudem das Lern- und Studiengebäude der Universität Göttingen.

Mit einem heutigen Bestand von rund 9 Millionen Medieneinheiten zählt die SUB Göttingen zu den größten Bibliotheken Deutschlands. Auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene erfüllt sie ein vielfältiges Aufgabenspektrum. Für ihre Leistungen hat sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten.